November 01, 2025

Immer Erntezeit: So liefert uns die Welt ganzjährig frischen Kaffee

By Maria Wittig
Immer Erntezeit: So liefert uns die Welt ganzjährig frischen Kaffee

Von der Blüte bis zur Bohne vergeht beim Kaffee ein Jahr und doch können wir das ganze Jahr über frischen Rohkaffee kaufen. Wie passt das zusammen? Der Schlüssel liegt in den Erntezyklen und den unterschiedlichen Jahreszeiten der Kaffeeländer. In diesem Deep Dive schauen wir uns an, wann und wie Kaffee rund um den Globus geerntet wird, was es mit Haupt‑ und Nebenernte (Mitaca/Fly Crop) auf sich hat und wie diese Zyklen die Verfügbarkeit beeinflussen.

Globale Erntezyklen – die Wanderung der Bohnen
Kaffee wächst im so genannten Kaffeegürtel - der Zone zwischen dem nördlichen und südlichen Wendekreis. Unterschiedliche Höhenlagen, Niederschlagsmuster und Temperaturen sorgen dafür, dass die Erntezeiten je nach Land variieren. Während in einigen Ländern eine Haupternte pro Jahr stattfindet, gibt es in anderen Gegenden zwei Ernten. Die weltweite Ernte zieht sich wie ein Band über das Jahr.

Tabelle: Erntefenster ausgewählter Ursprungsländer

Anmerkung: Die Monate können je nach Mikroklima, Höhe und Region leicht variieren.

Was ist eine Fly Crop / Mitaca?
In einigen Ländern trägt der Kaffeebaum nach der Hauptblüte ein zweites Mal Früchte. Diese Nebenernte wird in Kolumbien „Mitaca“ und in Kenia und anderen englischsprachigen Ländern „Fly Crop“ genannt. Eine Fly Crop ist eine zusätzliche Ernte kleinerer Menge, die nach der Haupternte stattfindet. Ob und wie stark diese zweite Ernte ausfällt, hängt von Sorte, Klima und den Anbaumethoden ab; sie ist kein globales Standardphänomen.

Da unser neuer Monatskaffee aus Kolumbien stammt, lohnt sich ein genauerer Blick auf die Erntezyklen dieses Landes.

Für Kolumbien bedeutet die Mitaca, dass es praktisch das ganze Jahr über Kaffee gibt: Während im zentralen Kaffeedreieck (Antioquia, Quindío, Risaralda, Caldas) zwischen September und Januar die Haupternte läuft, findet im gleichen Zeitraum im Süden (Huila, Nariño) die Mitaca statt – und umgekehrt. Diese versetzten Zyklen sorgen für eine kontinuierliche Versorgung mit frischem Rohkaffee. In unserem aktuellen Microlot aus Huila liegen die Erntefenster entsprechend bei Oktober–Dezember für die Haupternte und Juni–August für die kleinere Mitaca.

Kolumbien ist aufgrund seiner Geographie und der drei Andenkordilleren einzigartig: Die unterschiedlichen Mikroklimate führen dazu, dass jede Region eigene Regenzeiten und Erntefenster hat. Rund 80 % der kolumbianischen Produzent:innen bewirtschaften weniger als drei Hektar Land; im Département Huila beträgt die durchschnittliche Hofgröße lediglich 1,5 Hektar. Diese kleinteilige Struktur erzeugt eine Fülle von Mikroernten über das Jahr hinweg. Die hohe Dichte an Kleinerzeugern und die Vielfalt der Mikroklimata machen Kolumbien zu einem Herkunftsland, das nahezu ununterbrochen frischen Kaffee liefert und dennoch auf Qualität setzt. Die Region Huila selbst hat aufgrund ihrer besonderen Bedingungen eine geschützte Herkunftsbezeichnung erhalten und ist für Kaffees mit heller Säure und süßen, aromatischen Profilen bekannt.

Faktoren, die den Erntezeitpunkt beeinflussen

  1. Höhe und Klima: Kaffee wird in Höhen zwischen etwa 600 und 2.200 Metern angebaut. In höheren Lagen reifen die Kirschen langsamer, wodurch sich die Ernte nach hinten verschiebt. Je nach Höhe und Mikroklima kann die Erntezeit eines Landes deutlich variieren.

  2. Niederschlagsmuster: Eine Regenzeit löst die Blüte der Kaffeepflanze aus. Die Ernte beginnt etwa acht bis neun Monate nach der Hauptblüte. Wo zwei Regenzeiten existieren, entstehen oft zwei Ernten.

  3. Sorte und Pflanzentyp: Arabica benötigt etwas länger zum Reifen als Robusta. Ob eine Pflanze überhaupt eine Mitaca hervorbringt, hängt auch von ihrer genetischen Veranlagung ab.

  4. Erntemethoden: Handgepflückter Kaffee wird selektiv geerntet, während bei mechanischer Ernte ganze Zweige abgeschüttelt werden. Eine selektive Lese kann die Erntezeit verlängern, verbessert aber die Qualität.

Warum Erntezyklen wichtig sind

  • Frische und Geschmack: Nach der Ernte und Aufbereitung verlieren rohe Kaffeebohnen mit der Zeit an Feuchtigkeit und Aromastoffen. Der Zeitraum zwischen Ernte und Röstung wirkt sich auf den Geschmack aus. Frische Bohnen aus der letzten Ernte bieten lebendigere Aromen; ältere Jahrgänge schmecken oft flacher.

  • Planung für Röstereien: Kenntnis der Erntezeiten hilft Röstereien, ihre Vorräte zu planen und zu wissen, wann bestimmte Ursprünge verfügbar sind. In Brasilien kommen die neuen Bohnen ab Oktober auf den Markt, peruanische Kaffees ab November und kolumbianische Mitaca-Lots gegen August/September.

  • Mikrolot‑Strategie: Kleine Spezialitätenlots, wie der neue Castillo Natural, stammen häufig von der Haupternte, da hier die besten Qualitäten produziert werden. Mitaca-Lots sind in der Regel kleiner und schwankender in der Qualität.

Was uns die Erntezyklen lehren
Erntezyklen machen deutlich, dass Kaffee ein landwirtschaftliches Produkt ist, dessen Qualität und Verfügbarkeit stark vom Rhythmus der Natur abhängen. Länder wie Kolumbien oder Kenia mit versetzten Haupt‑ und Nebenernten bieten eine konstante Versorgung, während Regionen mit nur einer jährlichen Ernte – wie Äthiopien oder Guatemala – nur zu bestimmten Jahreszeiten frische Lots liefern. Für uns als Rösterei bedeutet das, saisonal zu denken. Die Kenntnis dieser Zyklen hilft nicht nur beim Einkauf, sondern auch dabei, Kund:innen zu erklären, warum bestimmte Kaffees zu bestimmten Jahreszeiten verfügbar sind. Sie zeigt auch, wie eng unser Lieblingsgetränk mit Klima, Region und landwirtschaftlichem Know‑how verbunden ist.

Von der Farm bis zur Rösterei – der Weg nach Europa
Nach der Ernte werden die Bohnen aufbereitet, getrocknet und exportfertig gemacht – ein Prozess, der je nach Klima und Infrastruktur mehrere Wochen dauert. Erst danach beginnt der eigentliche Transport: Rohkaffee reist meist per Schiff nach Europa. Von Brasilien oder Kolumbien dauert die Überfahrt rund fünf bis sechs Wochen, aus Ostafrika etwa sieben und aus Südostasien bis zu acht Wochen. Einschließlich Trocknung, Exportvorbereitung, Transport und Zollabwicklung vergehen zwischen Ernte und Ankunft in unserer Rösterei in der Regel drei bis fünf Monate. Rohkaffee ist erstaunlich Lagerfähig, was hilft saisonale Schwankungen in den globalen Lieferketten abzufedern.
So entsteht eine gleichmäßige Versorgung über das Jahr hinweg, selbst wenn Ernten in verschiedenen Ursprüngen zu unterschiedlichen Zeiten stattfinden.